Viva la Revolución...

Abends, wenn flackerndes Neonlicht die Hitze des Tages endlich erlöst, wird es langsam voll in den Strassen Havannas. Menschen von irgendwo her nach irgendwo hin - Menschen unterschiedlichster Hautfarben und Herkünfte, die im Schatten der Häuserzeilen ihren Weg nehmen. Kann sich Havanna auch in der Grösse mit anderen Metropolen der Welt nicht messen, so übt die Hauptstadt Cubas jedoch jene Faszination aus, die so manch einer auf seiner Suche nach dem Geheimnisvollen und Ursprünglichen zu finden hofft.

Hier scheint die Zeit einen jahrzehntelangen Stillstand erlebt zu haben. Die wenigen Autos, die auf den Strassen unterwegs sind, stammen oft noch aus der Geburtszeit der Revolution und werden von ihren Besitzern mit viel Mühe und Improvisation am Leben erhalten. Zuckerrohrpressen aus alter Zeit zerquetschen noch heute wie vor hundert Jahren die langen Rohrstangen zu einem schmackhaften, aber sehr süssen Saft und an manchen Häuserfassaden findet man noch heute die Einschusslöcher aus revolutionären Zeiten.

Auf dem 'Malecon', der Hafenpromenade der Stadt, schlendern die ersten Pärchen, bevor sie sich irgendwo auf der Kaimauer niederlassen und ineinander versinken. Die 'calle obispo' im Zentrum ist jetzt auch hoffnungslos überfüllt. Musiker, die ihre Instrumente in die nächste Bar tragen, vom Rum angetrunkene Jugendliche, alte Männer, die an wackligen Holztischen in ihr Dominospiel vertieft sind und Touristen auf der Suche nach einer Bar, einem Restaurant oder nach Liebe. Und die 'jineteras'... Mädchen und junge Frauen, die bereit sind, für ein kleines Stück Wohlstand sich selbst zu opfern.

Und es sind nicht wenige, die trotz der wachenden Argusaugen der Polizei versuchen, westlichen Touristen ihre Dienste unmissverständlich nahezubringen. Viele davon sind noch minderjährig. 'Über zwanzig gehörst du zum alten Eisen und niemand mehr will dich', wie mir eine von ihnen erklärte. Und weiter: 'Wenn du jung und clever bist, verdienst du an einem Abend mehr als ein Universitätsprofessor in einem halben Jahr.' Und die Konkurrenz ist gross. Auf Cuba verhält es sich mit den Frauen wie mit Gorgonenhäuptern: Wo eine abhanden kommt, wachsen sofort zehn nach.

Wartende Menschen stehen vor den staatlichen Lebensmittelmärkten, den 'bodegas', und nebenan kann man durch's offene Fenster einem Zahnarzt bei seiner Arbeit zuschauen. Gerade mal den Gegenwert von ungefähr zehn bis fünfzehn Euro verdient ein Cubaner im Durchschnitt monatlich - ergänzt durch die 'libreta', ein Lebensmittelbüchlein, das zum Kauf im Staatsladen berechtigt und ein Überleben für rund zwei Wochen ermöglicht. Jeder hier, ob der Bettler von der Strasse oder der Hotelier hat ein Recht auf Gesundheitsfürsorge – von der einfachen Zahnbehandlung bis hin zur Nierenverpflanzung. Das Bildungssystem vom Kindergarten bis zum Universitätsabschluss kann ebenso kostenlos genutzt werden; der grösste Teil der Schüler und Studenten wird zudem in Internaten kostenlos verpflegt. Die meisten Kubaner leben in Wohnungen, die der Staat kostenlos zur Verfügung stellt, die Ausgaben für Gas, Wasser und Strom sind sehr gering und Müllabfuhr sowie Rundfunk- und Fernsehempfang sind kostenlos. Wer kein Zusatzeinkommen hat, zahlt keine Steuern, erhält aber Arbeitslosenunterstützung, falls er seinen Job verliert. Der Aufenthalt im Altenheim ist ebenso kostenlos wie der Tod.

"Damit der Mensch seine materiellen Bedürfnisse befriedigen kann, ist es nicht nötig, seine Freiheiten zu opfern."

Fidel Castros Worte – ein Hohn für diejenigen, die sich selbst als Beute in einem ohnehin schon gebeutelten Land sehen. Der wachsende Tourismus der vergangenen Jahre hat das Wohlstandsdenken in der Bevölkerung stark ansteigen lassen, und wer clever war, konnte in seinem Schatten Geschäfte machen. Als das tatsächlich auch zu funktionieren schien, erfand der Staat ein Gegengift, das die Cubaner bis dahin nicht einmal dem Namen her kannten: die Steuer. Und seitdem zerplatzten viele Träume von einem bescheidenen Wohlstand wieder wie Seifenblasen.

Doch der bewährte Überlebenswille rettete die Cubaner auch diesmal vor der enttäuschten Resignation. Während ihre Stadt langsam aufblüht, halten sie durch. In der Unschuld des Sozialismus dauert das meiste halt nur ein wenig länger und auch die Rumkneipe um die Ecke, wo der Doppelte zweieinhalb Peso kostet, wird irgendwann renoviert werden.

Fidel Castro lebt und mit ihm die Ideologie einer ganzen Generation. Bleibt nur zu hoffen, dass die Revolution ihre Früchte trägt und Vorreiter war für ein neues Cuba: Ein 'vernünftiger' Kapitalismus mit stark sozialer Tendenz.



Hasta siempre commandante…